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Kita Kunterbunt als Ausbildungsbetrieb

Artikel vom 16.05.2023

Geschlossene Kita-Gruppen, verkürzte Öffnungszeiten, monatelange Wartelisten oder fehlende Plätze – nicht erst seit der Corona-Pandemie sind Deutschlands Betreuungseinrichtungen fast dauerhaft im Krisenmodus und das Personal an der Belastungsgrenze. Über allem scheint immer bedrohlicher das Damoklesschwert Fachkräftemangel zu schweben. Gleichzeitig steigt der Bedarf an Kita-Plätzen weiter. Die kommunale Kindertagesstätte Kunterbunt in Laudenbach ist bisher vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Auch, weil die Einrichtung bei der Personalsuche neue Wege geht und sich an Pilotprojekten beteiligt. Acht Personen befinden sich dort aktuell gleichzeitig in Aus- oder Weiterbildung. Über die besonderen Konzepte haben nun auch Fernsehen und Zeitung berichtet.

Reportage im Rhein-Neckar-Fernsehen

Bericht in den Weinheimer Nachrichten

Ein wenig schüchtern ist sie noch. Freundlich nickt die junge Frau und lächelt zurückhaltend ob des ganzen Rummels. „Danke“, sagt sie im Gespräch mehrfach. Erst, wenn Mehtap Kocadag Kinder um sich herum hat, ist sie wieder in ihrem Element und blüht auf. Dass sie erst seit drei Jahren in Deutschland lebt, merkt dann niemand mehr. In der Türkei war die 39-Jährige Englischlehrerin. In der Laudenbacher Kindertagesstätte Kunterbunt ist Mehtap Kocadag inzwischen Teil des landesweiten Pilotprojekts „Vielfalt willkommen“, an dem lediglich 20 Kitas in Baden-Württemberg teilnehmen. Damit ist sie auch ein Symbol, wie Kindertagesstätten künftig der schwierigen Personalsuche mit neuen Modellen begegnen könnten.

Kocadag ist damit in Laudenbach aber nicht allein. Insgesamt acht Personen betreut die Einrichtung derzeit in der Aus- und Weiterbildung – bei einer Betriebsgröße von rund 30 festen Mitarbeitenden im pädagogischen Bereich sowie fünf Mitarbeitenden im hauswirtschaftlich und betreuendem Bereich eine erstaunliche Zahl. „So viele“, erklärt Kita-Leiterin Bianka Drexler, „waren es noch nie“. Für die Einrichtung und ihre Erzieherinnen und Erzieher ist das – gerade nach den ohnehin schon kräftezehrenden Corona-Jahren – „ein Kraftakt“, wie Drexlers Stellvertreterin Nathalie Röhn einräumt. Ein Kraftakt, der allerdings notwendig zu sein scheint und sich in Zukunft lohnen könnte.

Schon jetzt fehlen in Deutschland 100 000 Erzieher, wie der Deutsche Kitaverbund schätzt. Eine Entwicklung, die sich nach Ansicht praktisch aller Experten angesichts eines baldigen Rechtsanspruchs für Ganztagsbetreuung in Grundschulen, mehr Integrationsbedarf und massiv fehlenden Personals in den kommenden Jahren noch extrem verschärfen wird. Umso mehr gilt in Kindertagesstätten die alte Binsenweisheit: „Wer gutes Personal will, muss in Ausbildung investieren“. Anderswo könnte sich das schon bald in „Wer überhaupt Personal will“ ändern.

Dieser Entwicklung versucht die Kita Kunterbunt frühzeitig zu begegnen und setzt dabei schon länger nicht mehr nur auf das klassische Ausbildungsmodell für Erzieher. „Hier hinkt der öffentliche Dienst leider oft hinterher“, weiß auch Laudenbachs Bürgermeister Benjamin Köpfle. Umso wichtiger ist dem Leitungsteam der Kita um Bianka Drexler und Nathalie Röhn, aus dem Rathaus „volle Rückendeckung“ für neue Wege bei der Personalakquise zu haben. Das Ziel dabei ist klar: Über alternative Aus- und Weiterbildungsmodelle langfristig Personal gewinnen und damit das Betreuungsangebot attraktiv und stabil zu halten.

Gerade dabei können die verschiedenen Wege, die Menschen inzwischen in den Erzieherberuf führen können, auch helfen. „Es ist zwar auch viel Arbeit“, sagt etwa Katrin Fuchs, „aber wir profitieren auch enorm von den neuen Ideen und anderen Ansätzen, die die Leute aus der Schule oder ihren vorigen Berufen mitbringen“. Die Erzieherin hat als „Anleiterin“ schon dutzende Auszubildenden in der Einrichtung kommen und gehen sehen. Die kurzfristige Mehrbelastung für die Mitarbeiter lohne sich langfristig.

Die gebürtige Türkin Mehtap Kocadag etwa bringt als ehemalige Lehrerin Kenntnisse mit, die ihr auch als Erzieherin zugute kämen. Tausende Fachkräfte wie Kocadag leben heute in Deutschland, deren Qualifikation aber nicht oder nur teilweise anerkannt wird. Als eine von wenigen erhält sie nun durch die Robert-Bosch-Stiftung im Rahmen des Projekts „Vielfalt willkommen“ die Gelegenheit, sich als pädagogische Fachkraft auch in Deutschland zu qualifizieren. Ein Jahr hat sie bereits zuvor im Kindergarten als Unterstützungskraft gearbeitet. Nun absolviert sie ein Vollzeit-Praktikum und muss anschließend eine Facharbeit als Prüfung beim Regierungspräsidium ablegen. Voraussetzung dafür ist unter anderem das Sprachniveau „C1“. Noch ist die Frau damit aber deutschlandweit eine Ausnahme.

Einen ähnlichen Weg hat Teresa Scholz in der Laudenbacher Kita gemacht. Die gebürtige Mexikanerin arbeitete zunächst im Hauswirtschaftsbereich. Inzwischen befindet sie sich im Anerkennungsjahr bei einer berufsbegleitenden Teilzeitausbildung mit Schulungsinhalten in der Louisa-Otto-Peters Schule (Wiesloch) am Abend und am Wochenende. „Das braucht Biss“, weiß Leiterin Drexler. Wer das schafft, sei bereit für den langfristigen Kita-Alltag. Gerade bei steigendem Integrationsbedarf bei Kindern können unterschiedliche Sprachintergründe ein Vorteil sein.

Aber auch langjährige Mitarbeiter der Kita beteiligen sich an solchen Fort- und Weiterbildungsangeboten. „Lernen“, sagt das Leitungsteam, „ist gerade bei der Kinderpädagogik ein lebenslanger Prozess“. Simone Huber etwa, die bereits über zehn Jahre Erzieherin in der Kita Kunterbunt ist, absolviert gerade eine sogenannte „Kolibri“-Weiterbildung zur Sprach- und Kommunikationsbildung an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Einen ganz anderen Ansatz bringt Kerstin Tüchert mit. Sie bezeichnet sich selbst als „Spätberufene“ und ist ursprünglich gelernte Diplom-Biologin. Über die Umweltpädagogik kam sie immer mehr mit Kindern in Kontakt und hat lange mit einem Wechsel geliebäugelt. „Jetzt bin ich total glücklich, dass ich’s gemacht habe“, sagt sie. Möglich macht das „PiA“ – die praxisintegrierte Ausbildung, die es mittlerweile neben der klassischen, dreijährigen Erzieherausbildung gibt. Auch Isabell Weinert absolviert diese Ausbildung in der Kita und der Weinheimer Helen-Keller-Schule. Zweieinhalb Tage verbringen sie außerhalb der Ferienzeit immer in der Schule.

Einen ebenfalls ungewöhnlichen Weg hat Jan Jakob Radermacher eingeschlagen. Der junge Mann ist über ein Freiwilliges Soziales (FSJ) Jahr zur Kita Kunterbunt gekommen. Das hat er aber nicht etwa dort absolviert, sondern beim örtlichen Fußballverein SV Laudenbach. Dort hatte er ein spezielles Trainingsangebot für eine Kita-Gruppe organisiert. Mittlerweile befindet er sich gemeinsam mit Sophie Drexler in einem einjährigen Vorpraktikum, um die Erzieherausbildung beginnen zu können – Radermacher an der Helen-Keller Schule, Drexler an der Helene-Lange Schule in Mannheim. Ihr Interesse wurde ebenfalls durch ein FSJ geweckt. Nach ihrem Engagement an der Seebergschule in Mörlenbach ist sie besonders für die Arbeit mit Menschen mit Beeinträchtigung sensibilisiert und kann ihre Erfahrungen in der integrativ arbeitenden Kita schon jetzt nutzen.

Gleichzeitig befindet sich in der Einrichtung mit Michelle Gonzales Peirera noch eine Studentin in ihrer Praxisphase. Dass unmöglich alle für immer und ewig in der Einrichtung bleiben werden, weiß auch das Kita-Leitungsteam um Bianka Drexler und Nathalie Röhn. Die Fluktuation ist heute – nicht nur in der Betreuungsbranche – deutlich höher als noch vor wenigen Jahrzehnten. Dennoch hofft die Einrichtung, dass sich der große Aufwand in Sachen Aus- und Weiterbildung langfristig fürs Laudenbachs Kinder lohnt. „Wir müssen einfach am Ball bleiben. Ständige Veränderung und Weiterentwicklung – das ist in der Kinderpädagogik ohnehin ganz normal“, erklärt Drexler. Gemeinsam mit ihrem Team will die kommunale Einrichtung sich auch in Zukunft an neuen Projekten beteiligen, um Fachkräfte zu gewinnen.